Es war einmal ein Mädchen mit einer Haut weiß wie Schnee, Haaren schwarz wie Ebenholz und Lippen rot wie Blut. Sie lebte allerdings nicht hinter den sieben Bergen, sondern in einer WG mit sieben Nerds, die sich liebevoll um sie kümmerten. Aber damit nicht genug, denn das Mädchen hegte einen ausgeprägten Hang zu BDSM, den sie mit dem Jäger teilt, der sie unendlich liebt. Es mangelt ihm zwar an praktischer Erfahrung, was er sehr ungeschickt zu verbergen versucht; aber immerhin ist er sehr motiviert. Schließlich muss sich das Verschlingen von unzähligen Videoclips auf einschlägigen Internetseiten muss sich ja irgendwie gelohnt haben. Schließlich will er seiner großen Liebe das geben, was sie man meisten befriedigt. Alles wäre so schön, wären da nicht die gemeine Königin und ein routinierter Serienkiller, der seine Opfer in einem gläsernen Sarg meuchelt…
Märchen sind außer Mode gekommen? Märchen sind langweilig? Nun, es kommt immer darauf an wie man sie erzählt und attraktiv zu verpacken weiß. Nachdem Luci van Org in ihrem letzten Roman einen Blick auf das heutige Alltagsleben der alten germanischen Götter geworfen hat, wendet sie sich nur nicht nur einem der bekanntesten Märchen zu, sondern verlegt die Geschichte auch in das heutige Berlin. Sie nimmt den Leser mit auf eine kurzweilige Reise durch Hinterhöfe, düstere Remisen und BDSM-Clubs, in denen es nicht immer so beschaulich zugeht, wie man annehmen sollte. Garniert wird alles mit einem guten Schuss schwarzem Humor, der mehr als einmal für ein deutliches Grinsen auf das Gesicht des Lesers zaubert. Der Autorin beeindruckt nicht nur mit einer sehr eingängigen Erzählweise, die die Handlung sehr plastisch erscheinen lässt, sondern auch mit vielen schrägen Charakteren, in denen sich der ein oder andere Geek vielleicht erkennen wird. So sind die sieben Zwerge nun Cosplayer, die sich intensiv auf einen Zwergen-Con vorbereiten und natürlich total in ihren Rollen aufgehen. Der Besuch eines BDSM-Clubs gerät nicht nur zu einer kleinen Odyssee, sondern wird für den angeblichen Experten zu einer richtigen Peinlichkeit. Und am Ende denkt der psychopathische Mörder, der hauptberuflich als Pathologe unterwegs ist, er hätte endlich sein passendes Deckelchen gefunden.
Luci van Orgs Roman weiß schon nach den ersten Seiten mit seiner Originalität zu fesseln. Erleichtert wird das vor allem durch einen leichten, oft erfrischend frechen Stil, dessen Spitzen oft ins Schwarze treffen, besonders wenn es um Charakterisierung ihrer Protagonisten und den abstrusen Situationen geht, in diese sie sich oft steuern. Dies alles macht Schneewittchen und die Kunst zu töten zu einem kurzweiligen, oft sehr schwarzhumorigen Lesevergnügen mit einem sehr hohen Spaßfaktor. Alles in allem also ein richtiges kleines Highlight, auf das man sich gerne einlässt.
Schneewittchen und die Kunst des Tötens
von Luci van Org
erschienen im September 2015 im U-Line Verlag
Umfang: 144 Seiten
ISBN: 978-3-944154-32-9