Inside the Script: Ben-Hur

Die Veröffentlichung von Drehbüchern zu Klassikern oder modernen Blockbustern erfreut sich unter Filmfans schon immer einer großen Beliebtheit. Gibt doch das sogenannte Shooting Script einen großen Einblick in die Entstehung eines solchen Werks. Außerdem ist so eine Veröffentlichung eine weitere Möglichkeit anspruchsvolles Merchandise an den Mann oder die Frau zu bringen.
 
Warner Digital Publishing wartet nun mit einer neuen Art der Vermarktung auf, denn nun hat man die interaktiven Möglichkeiten des E-Books für sich entdeckt. Mit der Reihe Inside the Script stellt man eine Reihe vor, bei der es sich nicht nur um die Veröffentlichung des Drehbuchs handelt, sondern in zahlreichen Essays wird auch die Entstehung des Films behandelt, der in dem Band enthalten ist. Gerade das sollte für Cineasten von Interesse sein. Der Testballon dafür startete Anfang Mai 2012 mit dem Start der Reihe, bei dem man vier Klassiker präsentierte: Casablanca, North by Northwest (Der unsichtbare Dritte), An American in Paris (Ein Amerikaner in Paris) und Ben-Hur (Ben Hur). Dabei versuchten die Macher alle Möglichkeiten auszunutzen, die man in dem relativ jungen Medium ausreizen kann.
 
Gerade mit Ben-Hur hat man einen der ganz großen Klassiker der Filmgeschichte ausgewählt, der eine beeindruckende Geschichte hinter sich hat. Er ist nur einer der drei Filme, die mit 11 Oscars bedacht wurden (die anderen beiden sind Titanicund Herr der Ringe – Die Rückkehr des Königs), sondern hat auch eine Entstehungsgeschichte, mit der man einen tiefen Einblick in das sterbende Studiosystem des goldenen Hollywoodzeitalters bekommt. In zahlreichen Essays wird geschildert wie sich Streifen zum letzten Rettungsstrohhalm für ein finanziell gebeuteltes Studio entwickelte. Die Filmgesellschaft MGM hatte, wie die anderen großen Majors, das Problem mit dem Fernsehen zurecht zu kommen. Die Zuschauerzahlen in den Kinos gingen zurück, weil viele einfach lieber zuhause vor dem Pantoffelkino saßen. Also begegnete man dem Konkurrenten mit neuen technischen Entwicklungen. Bei 20th Century Fox setzte man auf ein neues Breitwandformat namens Cinemascope und Stereoton. Bei Paramount Pictures wurde mit Vistavision eine technische Neuerung in die Kinos gebracht, die man heute landläufig mit der Bezeichnung HD betiteln würde. Selbst 3D wurde schon ausprobiert, doch die Rot-Grün-Brillen erwiesen sich als sehr unbequem, was zum schnellen Ende des Versuchs führte.
 
Bei MGM wollte man einen anderen Weg gehen. Immerhin besaß man immer noch die Rechte an einem der beliebtesten Romane der amerikanischen Literatur des 19. Jahrhunderts, der sich bereits in verschiedenen Medien bewährt hatte. Das Buch von Lewis Wallace, einem Veteran des amerikanischen Bürgerkriegs, erschien 1880. Schnell wurde es einer der ersten großen Bestseller, was findige Geschäftsleute auf den Plan brachte. Schon bald entstand ein Theaterstück, dessen Highlight schon damals das legendäre Wagenrennen war. Die Show entwickelte sich zu einem richtigen Blockbuster und das über Jahrzehnte hinweg. Als der Film dann aufkam, dauerte es auch nicht lange bis Ben-Hur auf der Leinwand erschien. Bereits 1907 entstand eine erste Verfilmung. Da man aber die Rechte an dem Stoff nicht erworben hatte, verursachte sie den ersten Copyright-Prozess in der Geschichte. Kurz nach der Entstehung des Studios MGM erschien 1925 die erste große Verfilmung des Romans in den Kinos. Obwohl die Produktion unter keinem guten Stern stand, entwickelte auch sie sich zu einem großen Hit, was wahrscheinlich auch an einer technischen Neuerung lag, die man bisher nur selten gesehen hatte. Einige Schlüsselsequenzen wurden in Farbe gedreht, im zweifarbigen Technicolor-Verfahren. Der Rest von MGM ist Geschichte. Mit Filmen wie Vom Winde verweht, Der Zauberer von Oz und vielen anderen Meisterwerken wurde es zum größten Studio in Hollywood, das die meisten Stars unter Vertrag hatte. Außerdem setzte man bei Großproduktionen einen Standard, den die Konkurrenten ebenfalls halten mussten. Doch das Aufkommen des Fernsehens Ende der 40er Jahre und einem Urteil des amerikanischen Kartellamtes war es zu verdanken, dass die großen Studios in eine finanzielle Misere schlitterten. Dem Kartellamt war es ein Dorn im Auge, dass die Filmgesellschaften ihre eigenen großen Kinoketten hatten. Also wurden sie angewiesen sich von diesen zu trennen, womit eine lukrative Einnahmequelle verschwand. Allerdings waren dies nur einige Faktoren, die bei dieser Sache mitspielten. Ein anderer wichtiger Grund waren die sich verändernden Sehgewohnheiten des Publikums. Also mussten epische Geschichten her, die die Massen wieder in die Kinos locken sollten.
 
Bereits Anfang der 50er Jahre hatte die Ära der biblischen Epen begonnen. Mit Quo Vadis? hatte MGM erneut einen Standard gesetzt, er mit der Einführung von Cinemascope bei Das Gewand von Fox noch übertroffen wurde. So begannen im Hintergrund die Arbeiten an einer neuen Version von Ben-Hur, die nach den damals neusten technischen Standards entstehen sollte. Als Regisseur wählte man William Wyler aus, der nicht nur mehrmals mit dem Oscar ausgezeichnet worden war, sondern auch für seine sehr persönlich erzählten Geschichten bekannt war. Witzigerweise kannte sich Wyler mit dem Stoff schon etwas aus, denn er war einer der zahlreichen Kameramänner gewesen, die beim Wagenrennen der 1925er-Verfilmung mitgewirkt hatten…
 
Viele weitere Fakten werden in den anderen Essays dem Leser informativ nähergebracht. So wird das Team vor und hinter der Kamera näher beleuchtet, die Darsteller werden vorgestellt und auch über die Dreharbeiten wird intensiv berichtet. Interessant ist auch die Definition, was einen epischen Film ausmacht, wobei Vergleiche zu ähnlichen modernen Großprojekten herangeführt werden wie beispielsweise James Camerons Avatar oder Ridley Scotts Gladiator. Als Fazit muss man feststellen: Es hat sich bei Großproduktionen in den ganzen Jahrzehnten nur wenig geändert. Klar, die filmische Technik wurde verbessert, aber gerade bei den essentiellen Elementen, wie dem Drehbuch, zeigen sich erschreckende Parallelen. So entstand das eigentliche Shooting Script eigentlich während der Dreharbeiten von Ben-Hur. Das ursprüngliche Script von Karl Tunberg erwies als relativ starr. Also arbeiteten die Autoren Gore Vidal und Christopher Fry zusammen mit William Wyler Tag und Nacht an dem Buch. Ähnlich lief es auch bei Ridley Scotts Gladiator, bei dem die Dreharbeiten auch begannen bevor das Drehbuch in seinen Feinheiten bestand.
 
Auch wenn das Thema sehr trocken erscheint, vermögen es die verschiedenen Autoren von Warner Bros. Digital Publishing, die leider nicht angegeben werden, dieses informativ und kurzweilig zu verpacken. Dabei konnten sie auf das umfangreiche Archiv von Warner Brothers und MGM zurückgreifen sowie auf das Tagebuch von Charlton Heston, das während der Dreharbeiten entstand und in Auszügen mit Kommentaren von Fraser C. Heston wiedergegeben wird. Hinzu kommen noch über 140 Fotos, die in hoher Auflösung vorliegen.
 
Die verschiedenen Essays und das komplette Drehbuch ergeben eine Einheit, wie man sie sich als Filmfan eigentlich nicht besser erhoffen kann. Es wird ein tiefer Einblick in die Entstehung eines der größten Meisterwerke des Kinos gegeben, wobei einige sehr interessante Tatsachen zu Tage treten, die nicht unbedingt etwas mit dem Film zu tun haben. Die Texte selbst sind knackig gehalten, bieten sehr viele Informationen, sind aber keine Sekunde trocken oder belehrend. Auflockerung bringen dabei auch einige lustige Fakten, wie beispielsweise die Verpflichtung von Leslie Nielsen (Die nackte Kanone) als Messala, wenn auch nur für einige Probeaufnahmen. Einziger Wermutstropfen ist, dass es die Reihe Inside the Script derzeit nur in englischer Sprache und exklusiv als E-Book vor. Das E-Book-Format ist auf der anderen Seite auch der große Vorteil, denn es werden alle Möglichkeiten des Mediums ausgenutzt, was auf jeden Fall beeindruckend ist. Ein weiterer Vorteil ist auch der Preis, denn das rund 800 Seiten starke Buch ist für weit unter 10 Euro zu haben.
 
Inside the Script: Ben-Hur bietet für den geneigten Leser kurzweilige Informationen in sehr hoher Qualität und ist die perfekte Ergänzung zu den bereits erschienen DVD- und Blu-ray-Editionen des Films.
 
Ben-Hur: Inside the Script
von Jeremy Ross (Hrsg.)
erschienen bei Warner Bros. Digital Publishing im Mai 2012
ISBN (iBook-Edition): 978-1-61408-004-6