Daredevil: Season 1

An einen richtig überragenden Erfolg hatte eigentlich keiner geglaubt, als Iron Man im Sommer 2008 in die Kinos kam. Schon oft hatte man bei Marvel Comics versucht seine Superhelden auf die große Leinwand zu bringen, mit mehr oder weniger Erfolg. Der Knoten löste sich erst ab dem Jahr 2000 mit den Adaptionen von X-Men und Spider-Man, dass eindrucksvoll zeigten, dass an den Kinokassen durchaus eine Nachfrage nach aufwendigen Comicverfilmungen bestand. Bald entschied man sich bei Marvel einen eigenen Weg einzuschlagen. Zusammen mit Paramount Pictures entwickelte man eine Filmversion von Iron Man, für die sich sogar ein einflussreicher Star sehr interessierte: Tom Cruise. Immer wieder verzögerte sich die Produktion bis Cruise, nachdem er bei Paramount in Ungnade gefallen war, das Projekt verließ. Mit einem neuen Regisseur und einem neuen Hauptdarsteller kam die Sache kurze Zeit später ins Rollen. Der Rest ist Filmgeschichte.

Die Wahl von Iron Man als Debüt der späteren Marvel Studios kam nicht von ungefähr. Schon in den 70er und 80er Jahren hat der Verlag die Filmrechte einiger seiner Helden bereits an diverse Filmstudios verkauft, aber meist blieb ihnen ein kommerzieller Erfolg versagt. Das änderte sich aber nachdem die X-Men zum ersten Mal auf die Leinwand kamen. Daraufhin konzentrierte sich die 20th Century Fox auf die weiteren Titel, die sie in einem Paket von Marvel erworben hatten. So brachte man 2003 mit Daredevil einen weiteren Helden auf die Leinwand. Obwohl diese Version mit Stars wie Ben Affleck, Jennifer Garner, Colin Farrell, Michael Clarke Duncan und Jon Favreau aufwarten konnte, wurde er nicht der erhoffte Erfolg und ist bis heute einer der unbeliebtesten Marvel-Filme. Daran ändert auch der später nachgeschobene „Director’s Cut“ nichts. Interessanterweise sollte Jon Favreau, der in dem Streifen als Foggy Nelson zu sehen ist, fünf Jahre später als Regisseur von Iron Man beweisen wie man einen handwerklich ausgereiften Superhelden-Film macht.

Trotz des Misserfolgs hielt die Centfox an dem Mann ohne Furcht fest. Immer wieder wurden Wiederbelebungsversuche unternommen, die jedoch alle aber ergebnislos blieben. Während man bei der Fox noch händeringend nach einem guten Drehbuch suchte, wurde Marvel vom Disney-Konzern aufgekauft, was einige Änderungen mit sich brachte. Den neuen Inhabern war (und ist) es Dorn im Auge, dass einige der großen Serien immer noch bei anderen Studios liegen. Aber die Filmrechte sind mit zeitbegrenzten Optionen verbunden. Kommt in diesem Zeitraum kein Projekt zustande, fallen die Rechte wieder an den Eigentümer zurück. Und Disney vergibt diese nicht erneut. Daredevil fiel wieder an Marvel Studios zurück, wo man sich nun Gedanken machte wie man den Superhelden zu einem Teil des expandierenden Marvel Cinematic Universe machen konnte.

Neben Kinofilmen sind für viele Studios TV-Serien ein sehr lukratives Geschäft. Seit Jahrzehnten warten die großen amerikanischen Sender jedes Jahr mit einer Unzahl von neuen Serien auf, von denen ein großer Teil oft sang und klanglos wieder nach einer oder zwei Staffeln verschwinden. Noch mehr kommen über das Pilotfilmstadium nicht hinaus oder werden gar nicht erst ausgestrahlt. Neben den etablierten Networks haben sich in den letzten 20 Jahren auch einige Pay-TV-Sender wie HBO, Showtime oder Starz einen großen Teil des Kuchens genommen, indem sie ambitionierte Serien produzieren, die nicht nur sehr aufwendig produziert sind, sondern auch mit anspruchsvollen Konzepten beeindrucken können. Serie wie Band of Brothers, The Sopranos, Rome, Spartacus, Breaking Bad oder Game of Thrones unterstreichen dies sehr eindrucksvoll. Seit einiger Zeit wird auch Video-on-Demand, kurz VDO, immer mehr zu einem ernstzunehmenden Schlagwort. Internetbasierte Anbieter wie Amazon Instant Video oder Netflix wirbeln den angestaubten TV-Markt kräftig durcheinander. Sie greifen nicht nur Serien erfolgreich neu auf, die die „normalen“ Sender in die Wüste geschickt haben, sondern produzieren auch eigene Konzepte, deren Erfolg für sich selbst spricht.

Den Deal über mehrere Serien mit einem großen Hintergrundkonzept, den Netflix und Marvel/Disney geschlossen haben, kann man durchaus als Elefantenhochzeit sehen. Vier Helden werden in verschiedenen Serien ins MCU eingeführt, die am Ende zu einer gemeinsamen zusammengeführt werden: The Defenders. Den Anfang macht Daredevil, der einer der bekanntesten Helden in diesem Paket ist.

Angesiedelt ist die Serienhandlung nach den Ereignissen von Avengers: Age of Ultron. Ein Verbrechersyndikat versucht den New Yorker Stadtteil, den man Hell’s Kitchen nennt, in den Griff zu bekommen. Dabei ist ihnen jedes Mittel recht. An der Spitze der Organisation steht Wilson Fisk, der seine Vorstellungen von einer besseren Welt in seinem Stadtteil mit eiserner Hand durchsetzt. Dabei greift er auf jede Menge zwielichtiges Gesindel zurück, das nicht immer bis an die Zähne bewaffnet ist. Alles wäre perfekt, wenn da nicht ein Mann mit einer schwarzen Maske wäre, der sich für die Schwachen einsetzt und immer wieder Fisks Pläne durchkreuzt…

Ähnlich wie DC’s Arrow oder Gotham beeindruckt Daredevil mit einer sehr düsteren Optik. Hell’s Kitchen ist ein brutaler, dreckiger Ort, wo die Unterwelt mit der größtmöglichen Härte gegen die Menschen vorgeht und fast alle Cops auf der Gehaltsliste von Wilson Fisk stehen. So konzentriert sich die erste Staffel auch auf die den Kampf zwischen Fisk und den geheimnisvollen Mann im schwarzen Kostüm. Schnörkelos und sehr geradlinig wird die Handlung auf den Punkt gebracht und wie in einem Fortsetzungsroman immer mit einem weiteren Schritt einer Lösung näher gebracht. Beeindruckend sind auch die sehr gut choreografierten Kampfszenen, deren Realismus sehr erfrischend ist. Daredevil ist nicht der makellose Superheld, sondern muss auch einiges einstecken, was sich auch auf seinen Kampfstil auswirkt. Die Prügel und Messerstiche gehen nicht spurlos an ihm vorbei.

Schon in der ersten Folge fällt auf, dass Drew Goddard und Steven S. DeKnight, die Macher der Serie, bei der Umsetzung ihrer Serie sehr auf die Vorlage vertrauen, die ihnen von Marvel geliefert wurde. Ein stilistischer Vergleich mit Sin City kommt da nicht von ungefähr, denn man orientiert sich an Frank Millers Storyline, mit der er die Comicserie in den 80er Jahren aus einem Tal des kommerziellen und künstlerischen Misserfolgs holte. Vor allem das schwarze Kostüm ist etwas, was aus seiner Ära stammt.  Aber auch bei der Auswahl der Darsteller hat man ein gutes Händchen bewiesen. Charlie Cox (Der Sernenwanderer, USA 2007) füllt die Rolle des blinden Matt Murdock perfekt aus, sowohl physikalisch als auch schauspielerisch. Ihm zur Seite stehen Deborah Ann Woll und Elden Henson, die sich ebenfalls als ideale Auswahl erweisen. Außerdem wartet man noch mit einigen bekannten Namen wie Rosario Dawson, Vondie Curtis-Hall und Scott Glenn auf, die der straffen Story ebenfalls einiges an Würze verleihen. Das Sahnehäubchen ist jedoch Vincent D’Onofrio (Full Metal Jacket, Criminal Intent) als Wilson Fisk. Er spielt den Charakter nicht nur als einen Menschen, der von seinen Methoden felsenfest überzeugt ist, sondern auch als jemanden, dessen Charakter einerseits zerbrechlich wirkt, auf der anderen Seite in seinem Verhalten so grobschlächtig ist, dass man ihn nur verabscheuen muss. Er bildet damit ein perfektes Gegengewicht zu dem in sich zerrissenen Hauptcharakter.

Düster, brutal und sehr spannend. So kann man Daredevil umschreiben. Anders als Marvel‘s Agents of S.H.I.E.L.D. verzichtet man bewusst auf ein zu comichaftes Flair, sondern versucht die ganze Geschichte so realistisch wie möglich zu halten. Zwar werden hammerschwingende Götter und Leute in fliegenden Rüstungen erwähnt, dennoch bleibt man in Hell’s Kitchen im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Boden. Daredevil ist keiner der strahlenden Helden des MCU, er ist ein Underdog, der in seinem Teil von New York für Ordnung sorgen will. Genau das macht ihn so sympathisch und macht einen macht einen großen Teil des Flairs der Serie aus. Unbestritten ein weiteres Highlight aus dem Hause Netflix, der Lust auf mehr macht.

Die erste Staffel von Daredevil umfasst 13 Folge und ist seit 10. April 2015 exklusiv auf Netflix abrufbar.

Daredevil
Season 1
USA 2015
Regie: Steven S. DeKnight, Euros Lynn, Douglas Petrie, u. a.
Darsteller: Charlie Cox, Deborah Ann Woll, Eldon Henson, Rosario Dawson, Vincent D’Onofrio, Ayelet Zurer, Vondie Curtis-Hall, u. a.
13 Folgen
Laufzeit je rund 60 Minuten
seit 10. April 2015 auf Netflix auch in deutscher Synchronisation verfügbar